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Wer bestimmt über den weiblichen Körper?

Von: Sarah Clasen

 

Worum es in der Auseinandersetzung um §219a wirklich geht.

Gestern hat der Bundestag mit großer Mehrheit und lediglich 6 Nein-Stimmen aus der SPD-Fraktion das Gesetz zum Paragraphen 219a StGB durchgewunken.

Die Zahl der Anzeigen gegen Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche in ihrem medizinischen Leistungsverzeichnis öffentlich zugänglich aufführen, hat seit dem Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel 2017 deutlich zugenommen. Dies verschärft die insgesamt schwierige Versorgungslage mit Schwangerschaftsabbrüchen, gerade in Flächenstaaten und in ländlichen Regionen.

Das trifft vor allem die eigentliche Zielgruppe des §219a StGB (ebenso wie §218): ungewollt schwangere Frauen, die sich über einen möglichen Schwangerschaftsabbruch informieren wollen. Befürworter des Paragraphen §219a StGB wollen einer Kommerzialisierung und vor allem einer Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der Öffentlichkeit vorbeugen. Nötige Informationen wie die Namen von Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, die Art der Methode und die nötigen Kosten seien durch die Pflichtberatung bei staatlich anerkannten Beratungsstellen für alle Frauen leicht zugänglich, so die Befürworter einer Beibehaltung.

Die Pflichtberatung ist für alle Schwangeren leicht zugänglich? Von wegen.

Eine Umfrage unter den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen der Arbeiterwohlfahrt im Oktober 2018 hat ergeben, dass dies mitnichten der Fall ist. Natürlich sind die Berater*innen umfassend in allen Fragen rund um die medizinischen Details von Schwangerschaftsabbrüchen und Kostenerstattungen ausgebildet und beraten dazu kompetent. Sie sind als psycho-soziale Fachkräfte bestens dafür geeignet, die möglichen Fragen und Prozesse auf dem Weg der Entscheidungsfindung oder Bewältigung (so es dabei Unterstützung braucht), einfühlsam und qualifiziert zu beantworten und zu begleiten. Dass die Einrichtungen der AWO dies lieber nicht im Kontext einer „Zwangsberatung“ sondern im Rahmen einer freiwilligen Beratungsmöglichkeit tun würden, steht auf einem anderen Blatt.

Von bundesweit einheitlicher und flächendeckender gesicherter Information und freier Methoden- und Arztwahl beim Schwangerschaftsabbruch kann nicht die Rede sein.

Die Listen mit Ärzt*innen, die den Schwangerschaftsabbruch dann letztendlich durchführen, erstellen die Berater*innen aber in mühsamer Kleinarbeit (bis auf wenige Ausnahmen wie bspw. Berlin, wo die Listen vom Senat herausgegeben werden) selbst. Oftmals arbeiten bspw. gerade kleine Beratungsstellen auf dem Land mit nur einem Arzt oder einer einzigen Ärztin langjährig zusammen. Wenn diese*r in Rente geht, ist es oft schwierig, Nachfolger*innen zu finden. Von bundesweit einheitlicher und flächendeckender gesicherter Information und freier Methoden- und Arztwahl beim Schwangerschaftsabbruch kann da nicht die Rede sein.

Ein frauenfeindlicher Blick auf die Lebenswirklichkeit von Frauen

Noch brisanter erscheint aber die Annahme hinter dem Paragraphen und seiner Auslegung: dass schwangere Frauen allein durch die öffentliche Bekanntmachung einer Abbruchmöglichkeit in ihrer Nähe auf die Idee gebracht werden könnten, abzutreiben. Welch frauenfeindlicher Blick auf die Lebenswirklichkeit und Entscheidungswege von Frauen dahintersteckt, wird schnell klar. Auch wenn nicht jede Anzeige nach §219a StGB zur Verurteilung führt und Frauen in der Regel nach einigen Mühen mit der Hilfe der Beratungsstellen zu ihren Informationen kommen, ist die Drohung genau wie beim §218 StGB klar: Sei Dir Deiner Entscheidung über Deinen Körper und Dein Leben nicht zu sicher, wir können auch jederzeit anders. Schon Dagmar Oberließ stellt in ihrem Aufsatz „Paragraph zweihundertachtzehn“ 1987 fest, dass es im Kampf um weibliche Selbstbestimmung um die Abwehr gegen eine latente Bedrohung gehe: „(..) die jederzeit aktivierbare und latent immer vorhandene patriarchale Verfügungsgewalt über die weibliche Gebährfähigkeit.“.

Ein auf ganzer Linie enttäuschender Entwurf

Ein Jahr hat es gedauert, bis im parlamentarischen Hin- und Her von Gesetzesentwürfen zur Reform oder Abschaffung des §219a StGB, Debatten in Fraktionen und im Kabinett sowie Anhörungen im Bundestag endlich der für Herbst angekündigte Kompromissvorschlag der Minister*innen-Runde innerhalb der Großen Koalition am 12. Dezember 2018 vorgelegt wurde, komplettiert vom Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“, vorgelegt am 29.01.2019.

Doch der Entwurf enttäuscht auf ganzer Linie. Statt einer Streichung wird der Paragraph bürokratisiert und verkompliziert. Ärzt*innen werden zwar zukünftig ein bisschen vom Regelungsbereich des Paragraphen ausgenommen, sie dürfen öffentlich darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Wichtige medizinische Details wie etwa die Methoden, mit denen die Abbrüche vorgenommen werden, oder die Kosten dafür dürfen aber weiterhin nicht öffentlich dargestellt werden. Stattdessen soll die Bundeärztekammer eine Liste erstellen, die monatlich aktualisiert wird, in der möglichst alle Ärzt*innen aufgeführt werden samt der Methoden, die sie anbieten. Warum ein Sachverhalt strafwürdige Werbung ist, wenn er durch eine*n Ärzt*in geäußert wird, aber legale Information wird, wenn eine Institution ihn äußert, bleibt schleierhaft.

Fauler Kompromiss

Parallel dazu wird am Werbeverbot festgehalten (was weitere Klagen bedeuten wird). Es ist davon auszugehen, dass sich nicht besonders viele Ärzt*innen auf diese Liste setzen lassen (zumal die Meldung freiwillig ist), da weiterhin die Gefahr einer Anzeige droht und die Stigmatisierung von Frauen und Ärzt*innen so aufrechterhalten wird. Parallel zum Reformvorhaben hat das Kabinett dem Bundesgesundheitsministerium insgesamt 5 Millionen Euro für die Durchführung einer Studie über die psychischen Langzeitfolgen von Schwangerschaftsabbrüchen bewilligt. Dass  die Annahme einer Traumatisierung durch einen Abbruch national und international empirisch wiederlegt ist, interessiert nicht. 5 Millionen Euro werden dringend gebraucht, um bspw. das Leiden von Schwangeren in der Geburtshilfe (Hebammenmangel, Kreissaalschließungen) zu mindern. Stattdessen  Stigmatisierung und Entmündigung von ungewollt Schwangeren. Dieser Kompromiss ist ein fauler, denn er verbleibt in der gleichen Logik wie vorher: zu viel frei zugängliche Information verdirbt Frauen den Kopf und führt dazu, dass sie falsche und unverantwortliche Entscheidungen von großer Tragweite treffen.

Dies kann doch in einer Gesellschaft, die die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in ihrem Grundgesetz verankert hat, im Jahr 2019 nicht allen Ernstes der Blick auf Frauen sein?!!

Wenn der Gesetzgeber einen Kompromiss juristisch verankert, der eine Abbruchsmöglichkeit unter bestimmten Bedingungen straffrei lässt, dann müssen alle notwendigen Details rund um diese medizinische Dienstleistung allen Frauen einfach zugänglich sein, damit sie eine gute Auswahl treffen können.

Die Arbeiterwohlfahrt wird sich daher im Sinne der betroffenen Frauen weiterhin für eine komplette Abschaffung des §219a StGB einsetzen.

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