Unsere Arbeit

Der Raum als dritter Pädagoge – zentrales Qualitätskriterium eines guten Ganztags

Von: Dieter Eckert

 

Im 21. Jahrhundert ist das entdeckende und kooperative Lernen unserer Kinder gefragt. Deshalb sind Schulen mit ihren Gebäuden, Räumen, Ausstattungen, ihrem Schulgelände und sozialen Umfeld „ganztagsfähig“ zu machen.

Schulräume sind zum Wohlbefinden und guten Lernen da

„Der Raum als dritter Pädagoge“, „“vom Klassenraum zum Lernort“, „vom Klassenraum zum klasse Raum“, „Grünes Klassenzimmer“, “Räume mit einem Gefühl von Großzügigkeit und Wohlbefinden“, „eine durchsichtige Schule mit Menschen für Durchblick“ oder von der Aula zum Marktplatz, von der Turnhalle zum Bewegungszentrum, vom Flachdach zum Sport- und Bewegungsraum, von der Aula zum Marktplatz, vom Lehrerzimmer zu Teamräumen, von der Bibliothek zum Selbstlernzentrum..

Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Begriffe lesen? Fühlen Sie sich auch sofort wohl und würden am liebsten mit Begeisterung wieder in eine solche Schule gehen, die so viel Wärme, Geborgenheit, Offenheit, Freundlichkeit ausstrahlt? Ist dies Utopie oder ein unerfüllbarer Traum? Darf Lernen richtig Freude machen?

Ja, wir sind alle überzeugt, dass die Qualität von Räumen in der Schule das Lernen, die Motivation und das Wohlbefinden von Schülern wie Lehrenden gleichermaßen beeinflusst. In inklusiven Schulen und in Ganztagsschulen sorgen abwechslungsreiche Unterrichtsformen, die Arbeit in multiprofessionellen Teams, die Öffnung in den Sozialraum, der Einbezug der Schüler*innen und ihrer Eltern in die Angebotsplanung für eine andere Tagesstruktur. Diese Veränderungen verlangen nach anderen Räumen als noch zu den klassischen Schulzeiten unserer Eltern. Lehrer*innen erkennen, dass es nicht funktionieren kann, wenn für verschiedene Aktivitäten immer wieder nur das Klassenzimmer benutzt werden kann. Lernumgebungen heute müssen ganz unterschiedliche Nutzungsanforderungen erfüllen. Die einladende Offenheit von Schule lädt andere Personen, Vereine, Unternehmen ein, sich am Schulleben zu beteiligen – ein wichtiges Kennzeichen eines guten Ganztags. Kinder und Jugendliche lernen wie das Leben außerhalb ihrer Schule funktioniert.

 

Gute Raumkonzepte für Schulen gibt es schon

Der geplante Ausbau der Grundschule zu einer Schule mit vielen Ganztagsbetreuungs-plätzen für jedes Kind ist neben der Inklusion ein besonderer Anlass, warum eine Schule neu gebaut oder erweitert werden muss. Wie werden neue Schulen oder Erweiterungsbauten modern geplant? Was geschieht mit tristen Bauten, um sie an ein zeitgemäßes Schulleben anzupassen? Hier setzt sich langsam ein Denken durch, welches das Ziel verfolgt: Schulbauten müssen eine hochwertige und zeitgemäße Bildung für alle unterstützen! Investitionen in Schulneu- oder Schulumbauten sind Investitionen in die Zukunft! Sie müssen auf neue pädagogische und organisatorische Anforderungen reagieren! Im 21. Jahrhundert ist das entdeckende und kooperative Lernen gefragt! Gebäude, Räume, Ausstattung und Schulgelände müssen entsprechend „ganztagsfähig“ gemacht werden!

Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft engagiert sich mit ihrem Projekt „Qualitätsoffensive Ganztag“ für den Aufbau inklusiver ganztägiger Bildungsstrukturen. Dabei verfolgt sie den Ansatz, ein neues Denken und Handeln im Schulbau zu etablieren. Sie bringt Fachleute aus Pädagogik, Architektur, Planung und Verwaltung zusammen, um Grundlagen und Konzepte zu erarbeiten, die in der Praxis umgesetzt werden. Dabei gilt das Motto: „Wer jetzt an einer bedarfsgerechten Planung und Entwicklung spart, verbrennt Investitionen in den Schulbau – und in die Zukunft von Bildung“ (siehe Pädagogische Architektur der Montag Stiftung mit Grundlagen, Planungsideen und Planungshilfen, Leitlinien, guten Beispielen).

In einer von der Montag Stiftung geförderten Studie von Erziehungs-wissenschaftler*innen und Architekten zum Thema „Raum und Inklusion – Neue Konzepte im Schulbau“ (2018) kommen die Autor*innen in Bezug auf geeignete Lern- und Unterrichtsräume in ihren Empfehlungen auf eine Richtgröße von 4,5 bis 5 qm pro Schüler*in inklusive Ganztagsfläche. Für eine Ganztagsklasse mit 25 Kindern sollten demnach 112,5 bis 150 qm im Schulalltag zur Verfügung stehen, dies entspricht einer Mindestgröße von zwei Klassenzimmern regulärer Größe.

Im Sinne eines qualitätsvollen Schulbaues empfehlen wir für die Lern- und Unter-richtsbereiche eine Orientierung an den oberen Werten (4,5 - 5 qm pro Schüler/-in inklusive Inklusions- und Ganztagsflächen, zuzüglich Erschließungsflächen).

(Meike Kricke et. al.: „Raum und Inklusion – neue Konzepte im Schulbau“, S. 499, Weinheim 2018)

Diese Flächen von mindestens zwei Klassenzimmern für eine kindgemäße Ganztagsschule sind nach den Ergebnissen eines Modellprojektes der AWO Niederrhein „Inklusive Raumkonzepte an Offenen Ganztagsschulen“ dringend erforderlich, um den gestiegenen Raumbedarf durch den vielerorts rasanten Ausbau der Ganztagsschulen und der mit der Inklusion einhergehenden besonderen räumlichen Bedarfe von Kindern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen annähernd zu entsprechen. Die praxisorientierte AWO Handreichung hat exemplarisch herausgearbeitet, dass Grundschüler*innen im Ganztag insbesondere Orte des Rückzugs und der Ruhe benötigen als auch Freiräume für Bewegung (auch bei schlechtem Wetter im Schulgebäude selbst!). Hinzu kommen Flächen für Beratungen und Besprechungen oder für spezielle Angebote (Therapien). Auch die Möblierung muss passgenau und durch die Nutzer*innen leicht veränderbar sein. Als problematisch empfinden Schüler*innen vielfach die Situation der Toilettenanlagen als auch der Mensen. Die Handreichung bietet einen interessanten Einblick in die Vielfalt der Auswirkungen von Raumnöten in der Schule, macht Änderungsvorschläge und kommt zu dem Ergebnis, dass „kluge Belegungspläne und kreative Nutzungskonzepte alleine nicht aus(reichen). Notwendig sind vielmehr bauliche Maßnahmen, die den räumlichen Bedarfen eines inklusiven Ganztagsbetriebes gerecht werden“ (AWO Handreichung 2019, Seite 29).

Das Konzept des Münchener Lernhauses gibt praktische Anregungen, wie neue Schulgebäude der Pädagogik der Zukunft gerecht werden können. Es gilt ein ästhetisch anregendes Lernumfeld mit geeigneten Räumen und Flächen zu schaffen, das den dynamischen Wechsel zwischen den Lernformen ermöglicht und unterstützt. Ein Schulhaus besteht aus mehreren kleineren Lernhäusern, in dem drei bis vier Klassen und ihr dazugehöriges multiprofessionelles Team ihren festen Platz haben. Die Unterrichtsräume, Fachräume und ein Teamraum reihen sich um ein zentrales Forum. Bibliothek, Musik- und Kunsträume, Aula, Eingangsbereich öffnen sich in den Stadtteil und können auch öffentlich genutzt werden. Berlin und München haben das Raumkonzept bereits zum flächendeckenden Standard für neue und grundsanierte Schulgebäude erklärt.

Prof. Ulrich Deinet von der Hochschule Düsseldorf hat auf der Grundlage des Aneignungskonzepts untersucht, wie sich Schule als „Aneignungsraum“ aus Sicht der Kinder darstellt und welche Konsequenzen sich daraus für die Gestaltung der Ganztagsschule ergeben. Er kommt zu dem Schluss, dass „die Schularchitektur …sich viel stärker als bisher mit dem Vorhandensein eines flexiblen Raumbegriffes auseinandersetzen (sollte): Die Auffassung, dass an einem Ort mehrere Räume durch Handlungen entstehen können, bedeutet für die Praxis einer Ganztagsschule Raumbildungen der Kinder zu ermöglichen, ihnen dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen (wie z. B. Rückzugsräume, flexible Raumgestaltungsmöglichkeiten etc.) und entsprechende Settings zu gestalten… (Dies) bedeutet auch, wegzukommen von einer sehr verbreiteten Schulstandortorientierung, bei der es oft darum geht, möglichst alle Veranstaltungen und Projekte einer Ganztagsschule am Ort der Schule selbst zu organisieren. Auch wenn dies aus organisatorischen Gründen oft einfacher erscheint, zeigen die Ergebnisse unserer Studie, wie wichtig die Nutzung außerschulischer Orte und Räume ist, denn sie stellt eine Erweiterung des Handlungsraumes der Kinder dar“. Im Ergebnis wird deutlich: das „Erleben der „Räume“ für die Kinder (ist) ein wichtiges Kriterium für ihr Wohlbefinden in der Schule…“ (Deinet, 2020, S. 3f.).

Bei allen Fragen zu guten Raumkonzepten sollten wir uns bewusst sein, dass bei anregenden Räumlichkeiten und einer ansprechenden Möblierung immer auch Wert auf eine zukunftsweisende digitale Ausstattung gelegt werden muss. Die Zukunft ist digital. Digitalisierung ist die Chance für das Schulsystem, Kinder und Jugendliche zu mündigen Personen zu bilden und einen Beitrag für digitale, kreative und problemlösende Kompetenzen zu erbringen.

 

Empfehlungen an Politik in Bund und Ländern

Zum quantitativen Ausbau des Gesamtbedarfs an Ganztagsbetreuungsplätzen bis zum Beginn des Inkrafttretens des Rechtsanspruchs 2025 rechnet das Deutsche Jugendinstitut in seiner Expertise von Oktober 2019 mit einem Gesamtbedarf von 1,132 Millionen neu zu schaffender Plätze (davon Hort: + 218.000 Plätze; Gebundene Ganztagsschule: + 165.000 Plätze; Offene Ganztagsschule: + 758.000 Plätze). Hierfür müssen umfangreiche Erweiterungs- und Neubauten finanziert werden. Über die Umsetzung der bislang vom Bund bereitgestellten 3,5 Milliarden Euro wird zurzeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe verhandelt.

Die Arbeiterwohlfahrt appelliert eindringlich an Administration und Politik, diese einmalige Chance zur Stärkung einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Schularchitektur als Lern- und Lebensort für Kinder im Ganztag zu nutzen:

  • Vereinbarung gemeinsamer Qualitätsstandards, an die die Bundesförderung zu binden ist.
    Investitionen in Schulneu- oder Schulumbauten sind Investitionen in die Zukunft! Es kann nicht sein, dass immer noch (Ganztags-)Schulen nach altem Muster gebaut werden. Ihre Bedeutung als Lern- und Lebensorte für gute und nachhaltige Bildungsprozesse und als Teile sozialer Lebenswelten von Kindern erfordern Schulgebäude, die der Pädagogik der Zukunft gerecht werden: Lernen als einen aktiven und interaktiven Prozess aus Sicht der Kinder zu verstehen, Lernumgebungen für unterschiedliche Nutzungsanforderungen zu gestalten und damit den Begabungen und Bedürfnissen aller Kinder Rechnung zu tragen.

     
  • Anträge auf Investitionsmittel des Bundes müssen ihr pädagogisches Raumkonzept detailliert darstellen.
    Hierzu liegen viele gute Beispiele, Konzeptionen und Erfahrungen des Zusammenspiels von Architekten, Pädagog*innen und Raumplaner*innen vor, die Schule zu einem Wohlfühlort für alle machen können.

Literatur

AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. (Hrsg.): Inklusive Raumkonzepte an Offenen Ganztagsschulen. Eine Handreichung von und für Praktiker*innen. Essen 2019

Meike Kricke, Kersten Reich, Lea Schanz, Jochem Schneider: Raum und Inklusion – Neue Konzepte im Schulbau. Weinheim 2018

 

Der Autor Dieter Eckert ist Referent für Jugendsozialarbeit, Jugendhilfe und Schule im Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt

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