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Von der "Wandermütterschule" zur Familienbildung

Von: Verena Wittke

 

Wie Eltern gestärkt werden - gestern und heute.

Vielleicht mehr denn je stehen Eltern vor einer Vielzahl anspruchsvoller Erziehungs- und Bildungsanforderungen: von den ersten Lebenstagen bis an die Schwelle zu Ausbildung und Berufsleben nehmen Eltern – als Vorbild, Versorgende, Begleitende und  Beratende – eine Schlüsselrolle im Leben und in der Entwicklung ihrer Kinder ein.

Um Eltern in der Wahrnehmung dieser komplexen Erziehungs- und Bildungsaufgaben zu stärken, bietet die Arbeiterwohlfahrt Familien in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld Bildung und Beratung rund um alle familienrelevanten Fragen und Themen an und stärkt sie in ihrem Selbsthilfepotential. Obwohl die Angebote der Familienbildung als selbstverständliche Unterstützungsleistungen allen Familien offenstehen, zeigt sich in der Praxis, dass die Zugangsschwellen zu ihren Angeboten insbesondere für Familien in benachteiligenden oder belasteten Lebenssituationen oft zu hoch sind und sie damit von der Nutzung solcher Angebote ausgeschlossen bleiben. Gleichzeitig ist festzustellen, dass aufgrund einer noch immer unzureichenden strukturellen Absicherung insbesondere in strukturschwachen Regionen interessierte Eltern keineswegs auf ein bedarfsgerechtes, leicht zugängliches und an ihren Bedürfnissen ausgerichtetes Familienbildungsangebot zugreifen können.

Der Blick zurück zeigt, dass die Familienbildung bei der AWO immer wieder vor diesen oder ähnlichen Herausforderungen stand und diese die Entwicklungen in der Familienbildungsarbeit ebenso mitbestimmten wie gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Ausgehend von den Mütterschulen mit ihrer präventiven Bildungsarbeit in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die nicht zuletzt auf eine Vermeidung von Fürsorgemaßnahmen der Jugendhilfe abzielte, zeichnete sich Ende der 1960er Jahre eine Veränderung des Verständnisses von Elternbildung ab: die soziale Isolation von Familien und der Verlust an sozialen Ressourcen wurden nicht länger als typisch für Familien in besonderen Problemlagen oder mit bestimmter Schichtzugehörigkeit betrachtet, sondern als kennzeichnend für familiale Sozialisation schlechthin. Aufgrund eines veränderten Familien- und Frauenbildes nahmen die Einrichtungen mit ihren Angeboten immer stärker die gesamte Familie in den Blick und passten Inhalte und Konzepte an - aus Mütterschulen wurden Familienbildungsstätten.

Die Einsatzorte der Mobilen Elternschulen

Die Einsatzorte der Mobilen Elternschule.

Untrennbar mit der Geschichte und dem Selbstverständnis der AWO Familienbildung verbunden ist die Mobile Elternschule, die in den 44 Jahren (1960-2004) ihres Bestehens in über 100 Landkreisen die Verankerung neuer Angebote der Familienbildung anregen konnte und so bundesweit Aufbau- und Pionierarbeit im Handlungsfeld Familienbildung leistete. Gefördert durch das Bundesfamilienministerium, startete sie als Bundesmodellprojekt "Wandermütterschule" in den frühen 1960er Jahren, um, ausgestattet mit einer Vielzahl für die Bildungsarbeit notwendiger Materialien (bis hin zu einer kompletten Küchenausstattung) und der „Wanderausstellung gutes Spielzeug und gute Bücher für Eltern und Kinder“, Angebote der Bildung und Begleitung für Familien in die ländlichen Gebiete ohne erwachsenen- und familienpädagogische Infrastruktur zu tragen. In mehrmonatigen Einsatzzeiten wurde in Kooperationen mit (AWO) Trägern und Referent*innen vor Ort mit großem Erfolg ein teilnehmer*innenorientierte breite Kurs- und Bildungsangebot entwickelt und durchgeführt, an denen Mütter, aber auch Väter aus allen Schichten teilnahmen. Die MES entwickelte sich nicht nur zu einem zu einem anerkannten Projekt, dessen Schwerpunkte sich zunehmend auf Unterstützung, Anleitung und Fortbildung zu Fragen der Erziehung, des familialen Zusammenlebens und der Emanzipation aller Familienmitglieder verschob, sondern bereitete auch für eine Vielzahl familienpädagogischer Folgeeinrichtungen und Angebote den Boden: Viele Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt, die heute qualifizierte Familienbildungsarbeit leisten, sind aus Einsätzen der Mobilen Elternschule entstanden.

Auch heute macht sich die AWO als Trägerin familienbegleitender Angebote und als Vertreterin der Interessen von Familien stark für ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes, qualitativ hochwertiges und leicht zugängliches Bildungs- und Unterstützungsangebot für alle Familien in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, denn hinsichtlich der noch immer unzureichenden Verankerung solcher Bildungsangebote besteht noch deutlicher Entwicklungsbedarf!

Der Ansatz der MES, mit ihren Angeboten dorthin zu gehen, wo die Familien sind, gemeinsam mit ihnen Bildungsinhalte und –formen zu erarbeiten und diese alltagsnah zu vermitteln, ist in der heutigen familienpädagogischen Bildungsarbeit anerkanntes Prinzip. Gleichwohl bleibt noch viel zu tun, wenn es darum geht, ausgrenzende Faktoren und Mechanismen zu erkennen, Barrieren abzubauen und Familien „unter Druck“ noch besser als bisher zu erreichen. Ein wertvolle Ressource auf diesem Weg sind die im ESF-Bundesprogramm „Elternchance“ zu Elternbegleiter*innen qualifizierten Fachkräfte, die vielfach neue Formate und Wege der Ansprache entwickeln, um Eltern frühzeitig und niedrigschwellig in ihrem Bemühen zu stärken, bei ihren Kindern die Freude am Lernen zu fördern und Bildungsprozesse und –übergänge kompetent und selbstbewusst zu begleiten.

In die Sozialisation, Erziehung und Bildung in der Familie zu investieren und Eltern durch vielfältige Angebote in ihren verantwortungsvollen Aufgaben zu unterstützen, heißt, eine lebenswerte kinder- und familienfreundliche Gesellschaft mitzugestalten, in der junge Menschen gut heranwachsen und Familien gerechte Chancen in ihrem Zugang zu Bildung, Teilhabe und Gesundheit haben. Auch wenn Inhalte, Methoden und Formen der Familienbildung sich mit den Bedürfnissen und Fragen der Familien verändert haben, gilt noch heute, was die Jugend- und Familienbildungsreferentin im Arbeiterwohlfahrt Bundesverband Dr.Ingetraut Elster-Düsing 1967 feststellte: „Wir sollten die Wirksamkeit unserer Bildungsarbeit an den Erfordernissen der Zeit messen und die Zukunft miteinbeziehen, eine Zukunft, die von uns einmal Rechenschaft fordern kann. Denn die Erziehungs- und Bildungsarbeit, die wir für die Familie und mit der Familie erreichen, wird weit über den Rahmen der einzelnen Familien hinaus auch das Leben der Gesellschaft beeinflussen können.“[1]

[1] Dr. Ingetraut Elster-Düsing (1967): Welche Fragen wirft die Frauenenquete für die Mütterbildung auf? In: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes, Sonderdruck aus Heft 4, Juli/August 1967

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